Reportage aus dem Canisiushaus
Eine Woche Urlaub bei der Brüdergemeinschaft der Canisianer – Zeit für Exerzitien und die Nähe zu Gott
Dietmar spricht ganz leise, bedächtig. Für einen, der die Welt "da draußen" gerade erst verlassen hat, fast schon beängstigend ruhig. In wenigen Minuten wird Dietmar ganz schweigen. Stundenlang. Für ihn ist das "wie Leistungssport", so sagt er. Oder wie Auftanken. Er nennt das "Wellness für die Seele".
Um kurz vor sieben versammelt sich die Münsteraner Brüdergemeinschaft der Canisianer in ihrer kleinen Kapelle. Schweigend nehmen die Männer im Halbkreis Platz, das Gebetbuch fest zwischen die Hände gepresst. So sitzen sie nun dort. In Jeans und T-Shirt, Pullunder oder Anzug. Der Jüngste ist gerade einmal 30 Jahre alt. Der Älteste Mitte 60.
Sein Magengrollen ist deutlich zu vernehmen. Unruhiger wird er deshalb aber nicht. Denn der Reizhusten seines Gegenübers verliert sich in der Stille ebenso wie das Gähnen des Nebenmannes. Es ist Dienstagmorgen. Und Schwester Bathilda in dieser Woche die Vorbeterin.
"Ich suche Stille", wird Dietmar eine halbe Stunde später beim Frühstück sagen. Seine Augenlider sind gesenkt, die Finger fest ineinandergelegt. "Dies hier ist ein Stückchen mein Zuhause", gesteht er und schneidet das Leberwurstbrot entzwei.
Dietmar ist 42 Jahre alt, Familienvater, Pastoralreferent. Jedes Jahr macht er hier im Canisiushaus - wie viele andere Menschen auch - eine Woche Urlaub. "Wüstentage" heißt das, und hat rein gar nichts mit Sonne und Sand zu tun. Tatsächlich schenkt er sich Freiheit vom Alltag. Ist Gast. Seine Gemeinde in Bad Zwischenahn stellt ihn für diese Zeit frei, damit "ich hier die Nähe Gottes bewusst spüren und mich neu ausrichten kann". Wenn Dietmar mehrmals täglich seine Exerzitien - also geistliche, darunter meditative Übungen - betreibt, dann kostet dies enorme Kraft. Länger als 70, 80 Minuten dauert so eine Übung selten. "Einen Marathon kann man ja auch nicht unendlich fortsetzen", meint er. Das Glücksgefühl danach muss wohl ähnlich sein. Beschreiben kann Dietmar es zumindest genau so wenig.
Vor vielen Jahren stand er vor der Entscheidung: Familie oder Orden? Mit dem gefundenen Konsens und der geistlichen Begleitung, die er hier im Haus erfährt, lebt es sich ganz gut.
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Nebenan - im kleinen, offenen Gemeinschaftsraum nebst Nasszelle - haben sich heute wieder einige Menschen ohne Heimat, ohne Dach eingefunden. Hier essen sie gemeinsam, reden, entfliehen ihrem Alltag und erfahren Nähe, Mitgefühl und Wertschätzung von Brüdern. Auch dies ist Dienst am Menschen.
Zwei Etagen höher hat sich Dietmar für seine Exerzitien eine Kerze angezündet. Sie wird in den nächsten 70, 80 Minuten strahlen. Dietmar danach übrigens auch. .....
Auszug aus einem Bericht in dem Wochenendmagazin der Ruhr Nachrichten / Münstersche Zeitung vom 16. Dezember 2006. - Der gleiche Bericht wurde am 10. März 2007 in anderer Aufmachung erneut in einer Wochenendbeilage veröffentlicht, diesmal im Raum Recklinghausen, Dorsten, Marl, Herten und Haltern.