Gebet zur Zeit der Ernte
Herr: es ist Zeit.
Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Rainer Maria Rilke
Eine Herbstzeitzeit des Wandels.
Diese fruchtbringenden Zeit neigt sich dem Ende zu.
Die Tage werden länger und die Natur noch in bunten Farben gehüllt strebt dem Winterdunkel entgegen.
Das Bild der treibenden Blätter im Gebet des Dichters R.M Rilke spiegelt den „unruhig wandernden, heimatlosen Menschen in der Natur“ wieder.
Die Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit der Einsamkeit genannt werden, nämlich „wachen, lesen, lange Briefe schreiben“ und eben „unruhig wandern“ weisen auf ein Streben des Menschen nach Innerlichkeit hin.
Einsam wird’s um den Menschen. Die Sehnsucht nach Beheimatung wächst.
Der Beter sucht im Psalm 27 heimatlichen Trost bei Gott, seinem Berger und Hüter.
Der Herr ist mein Licht und mein Heil, mein Trost, meine Hoffnung, dass es doch nicht zu spät ist mit mir.
Schleicht sich auch Angst ein und fallende Schatten, so sprichst du zu mir:
Vor wem sollte mir bangen?
Vor denen, die schon immer sagten:„Mit dem geht es nicht. Der passt ja nicht zu uns. Der ist anders, ein Grenzfall, lieber grenzen wir ihn aus.“
Mögen viele sagen:
„Du bist out, nicht zu retten, nicht fähig...“ oder: „Ach, es wird schon wieder, du bist okay, alles wird gut, Kopf hoch.....“
Diese Ausgrenzer und falschen Tröster, sie ahnen ja nicht, wie es in mir ist.
So will ich mich dir zuwenden, Herr, du mein alles, mein Berger und Halter, ich darf vor dir sein, wie ich bin.
Dein Wort, mir anvertraut ist mir Trost allein. Nichts habe ich an mir, was ich nicht von dir hätte.
Ganz dein Herr, ich bin nicht verloren.
Schatten des Todes, sie flohen, als du lichtvoll mir nahe warst.
Du bist mein Trost im Elend, rufst mir zu:
„Komm und suche mich. Ich lasse mich finden von dir.“
Herr, dein Angesicht will ich suchen als Mensch unter Menschen.
Doch, wo bist du, Wort des Vaters,das mir Licht und Weisung wird?
Lass dein Angesicht leuchten, und vertreibe, das mich unverhofft umgebende Dunkel:
Ein Dunkel, dass meine Sinne trübt.
Ein Dunkel, dass mir den Blick versperrt zu sehen.
Ein Dunkel, dass mich frieren lässt.
Wenn sich auch viele abwenden von mir:
Du Herr, wende dich mir zu. Dein Blick macht heil. Zeige mir den Weg zum Leben,
den Lichtweg zum Himmel.
Du, lass mich deine Güte schauen und lass mich bemerken, dass du mir mit allen, die du mir gegeben hast, einen Platz schenken wirst einst im Land der Lebenden.
So will ich gehen, unter deinem Blick und mich von dir senden lassen.
Br. Gereon Henkhues